Dorothée Bauerle-Willert

Bildräume


   In komplexen, vielschichtigen Installationen, die Bernhard Striebel für je bestimmte räum­liche Situa­tio­nen schafft, ver­bin­den, re­flek­tie­ren und er­gän­zen sich ver­schie­de­ne Be­fra­gun­gen von Bild und Raum: in der Ma­le­rei, in der ar­chi­tek­to­ni­schen Kon­struk­tion, im Wort, in Licht­räu­men und Spie­ge­lun­gen. Wahr­neh­mung und ih­re Pa­ra­do­xa, Sicht­bar­keit und Her­me­tik tre­ten in ein un­ab­schließ­ba­res Wech­sel­spiel. Da­bei gibt es im­mer wie­der irri­tie­ren­de Kipp­mo­men­te zwi­schen Bild und Raum, zwi­schen Zwei- und Drei­di­men­sio­nali­tät, zwi­schen Wand und Skulp­tur. Die oft­mals in Se­rien an­ge­leg­ten Tafel­bil­der wer­den im­mer auf ei­nen Raum be­zo­gen und of­fen­ba­ren da­durch ih­re skulp­tu­ra­le Qua­li­tät; um­ge­kehrt kön­nen plas­ti­sche Kon­struk­tio­nen wie die Mann­heimer Kaskade in aller Leicht­füßig­keit, auch im Ma­teri­al des Pa­piers, die Ar­chi­tek­tur kon­ter­ka­rie­ren. Im­mer geht es Bern­hard Strie­bel um die Er­for­schung des kon­kre­ten Aus­stel­lungs­raums, um Vor­stel­lun­gen und Vor­ur­tei­le über Kunst, um ein Spiel mit dem Se­hen, mit Sicht­bar­keit und Sichtbarwerdung.

   Die Halle des Mies van der Rohe Hauses wird zur Bühne, zur begehbaren Skulptur, wenn ei­ne gel­be Wand­ma­le­rei, die die Hälf­te der Wand – als gel­ber Hori­zont – ein­nimmt, sich mit den in der obe­ren Hälf­te der ge­genüber­lie­gen­den Fen­stern an­ge­brach­ten gel­ben Plexi­glas­fil­tern ver­klam­mert und so den Raum in ein iri­sie­ren­des, viel­far­bi­ges Gelb taucht. Die Ins­ze­nie­rung des Gelbs zieht sich in ver­schie­de­nen Kon­fi­gu­ra­tio­nen durch Bern­hard Strie­bels Werk und um­spielt da­bei im­mer die grund­le­gen­den Ar­chi­tek­tur­ele­men­te, Wand, Decke, Fen­ster. Layout, der von ihm ge­stal­te­te Mes­se­stand auf dem Art­fo­rum Ber­lin, kehrt das Ver­hält­nis von Grund und Fi­gur um. Dort, wo die Pres­span­plat­ten der Messe­wand auf­ein­an­der stoßen, wer­den die ver­spach­tel­ten Fu­gen gleich­sam als Zip im ‘Bild’ ste­hen ge­las­sen, zu­gleich ein iro­ni­scher Kom­men­tar zur em­pha­ti­schen Moderne.
   In Bernhard Striebels jüngster Installation im Haus am Lützowplatz erzeugen drei Ob­jek­te, lapi­dar auf den Fuß­bo­den ge­stellt, ei­nen neu­en Bil­der­ort. Vor ges­tisch an­ge­leg­ten Mono­chro­mien in grün, gelb, rot, sind trans­pa­ren­te gel­be Plexi­glä­ser ge­stellt, die das Wider­spiel von Tie­fe und Flä­che, von Spie­ge­lung und Far­be in Gang brin­gen. Die­ser Dreier­grup­pe ant­wor­tet ei­ne sechs­tei­li­ge gel­be Ma­le­rei, wo­bei hier die zu­grun­de­lie­gen­de Struk­tur – ein ver­wor­fe­nes Git­ter, ein Fal­ten­wurf – durch Ab­schleifen des da­rüber­ge­leg­ten Gelbs zu­tage tritt: Die Kom­ple­men­ta­ri­tät der bei­den An­ord­nun­gen öff­net Ka­te­go­rien des Se­hens zwi­schen Vor­der- und Hin­ter­grund, zwi­schen Zeich­nung, Ready Made und Ma­le­rei und ist zu­gleich ei­ne Fra­ge: Wie und wann tritt et­was zutage?

   Bildproduktion, Wahrnehmung und Sichtbarkeit werden ebenso nonchalant in der Raum­in­stal­la­tion Albert, Albert von 1991 the­ma­ti­siert, wo vier ver­glas­te Rah­men, blin­den Fen­stern ver­gleich­bar, Schein­wer­fern ge­gen­über­ste­hen: Licht­bild und Schei­nbild. Auch Alibi, eine Ins­ze­nie­rung von vier be­schrif­te­ten Kri­stall­spie­geln, die Raum ab­sor­bie­ren, Raum ent­wer­fen, ar­bei­tet mit Grund­fra­gen des Bil­des, wo­bei Satz­frag­men­te die Re­fle­xion zu­gleich öff­nen und unterminieren.

   Das Thema der Spiegelung, der wechselseitigen Reflexion und Illumination ist fast ein Leit­motiv in Bern­hard Strie­bels Re­cher­che des Bild­ge­sche­hens. So er­gänzt er im Haus am Lützow­platz mit einer sim­pel ge­bau­ten, trans­pa­ren­ten Struk­tur den Er­ker. Die Pro­jek­tion der ar­chi­tek­to­ni­schen Si­tu­ation schafft ein neu­es Ver­hält­nis von außen und in­nen im Ga­le­rie­raum und ermög­licht zwei­er­lei Raum­er­fah­run­gen und Blick­rich­tun­gen: eine Ins­ze­nie­rung, die den Fen­ster­blick zum Bild macht und, um­ge­kehrt, die drei Zeich­nun­gen auf der ge­gen­über­lie­gen­den Wand rahmt und fasst. Silberblick hat Bern­hard Strie­bel die­se An­ord­nung ge­nannt. Die­ser Be­griff chan­giert zwi­schen dem um­gangs­sprach­li­chen leich­ten Schie­len und der Be­zeich­nung für ei­ne Dar­stel­lungs­tech­nik des Por­trai­tie­rens, bei der die Au­gen nicht ganz sym­me­trisch dar­ge­stellt wer­den, um ei­nen le­ben­di­gen Blick zu er­rei­chen. Im Hüt­ten­we­sen be­zeich­net der Ter­mi­nus ‘Blicksilber’ den Mo­ment, in dem das noch flüs­sige Sil­ber, von fast al­len Bei­men­gun­gen von Blei be­freit, er­starrt. Die­se win­zige Zeit­span­ne wird we­gen des „her­vor­bre­chen­den kur­zen ei­gen­ar­ti­gen Schim­mers“ so ge­nannt. Das Er­star­ren, das Blicken, der Au­gen­auf­schlag des eben ge­bo­re­nen Sil­bers …und um Blicke, Schim­mern, Ver­leben­di­gung, geht es auch hier.

   Silbergrau, die Arbeit im anschließenden Raum, treibt das Thema der Spiegelung zwei­fach wei­ter, ein­mal durch die ganz un­be­kümmert an­ge­brach­te Spie­gel­fo­lie, die – in leich­ter Ver­zer­rung, wie al­le Kunst – für den sich be­we­gen­den Be­trach­ter im­mer neue Raum­bil­der ent­ste­hen lässt, und dann durch die große Wand­ar­beit, ei­ne silb­rig schim­mern­de, durch Licht und Schat­ten sich stän­dig ver­än­dern­de Flä­che. Na­tür­lich denkt man an Ver­se aus Ril­kes So­net­te an Or­pheus: „Spie­gel: […] // Ihr, noch des lee­ren Saa­les Ver­schwen­der-, / wenn es däm­mert, wie Wäl­der weit… / Und der Lüs­ter geht wie ein Sech­zehn-En­der / durch Eu­re Un­be­tret­bar­keit. // Manch­mal seid ihr voll Ma­le­rei. / Ei­ni­ge schei­nen in euch ge­gan­gen-, / an­de­re schick­tet ihr scheu vorbei.“

  Durch das Aneinanderstoßen der einzelnen Blattsilberquadrate entsteht ein un­ter­grün­di­ges Ras­ter, das durch die Un­eben­hei­ten der Wand ge­bro­chen wird. Die Sil­ber­flä­che nimmt ei­ne fast land­schaft­li­che Qua­li­tät an mit viel­fa­chen Er­hö­hun­gen und Schlün­den, Wir­beln und Krei­seln. Ein Leuch­ten ist im Raum, aber auch der Schat­ten, die stän­dig wech­seln­de Pro­jek­tion, die Schwin­gung, die auch durch un­se­re ge­bro­che­ne und brüchi­ge An­we­sen­heit im Spie­gel­bild ei­nen leich­ten Ver­ti­go erzeugt.

   Lange wurde die Kunst als Spiegel der Natur aufgefasst. Als Mimesis-Gebot zugleich Bal­last und Auf­ga­be der Kunst. Pla­ton be­fragt im Staat (596 a-e) lis­tig die Spie­gel­me­ta­pho­rik und da­mit Sta­tus und Nut­zen der Kunst, wenn er So­kra­tes sa­gen lässt: „Am schnell­sten aber wirst du wohl, wenn du nur ei­nen Spie­gel neh­men und den über­all um­her­tra­gen willst, bald die Son­ne ma­chen, bald die Er­de, bald auch dich selbst […] und al­les wo­von so­eben die Re­de war.“

   Man kann wohl die Geschichte der Kunst als Antwort auf Platons Verdikt über die künst­le­ri­sche Nach­ah­mung le­sen, als ein Be­mü­hen um ei­nen an­de­ren Sta­tus als den der bloßen Wie­der­spie­ge­lung: Was ist die Kunst – Spie­gel oder Lam­pe? Aber Spie­gel ha­ben merk­wür­di­ge Ei­gen­schaf­ten (die Pla­ton selt­sa­mer­wei­se außer acht läßt): ein­mal kön­nen wir nie lee­re Spie­gel, so­zu­sa­gen den Spie­gel an sich se­hen, an­de­rer­seits kön­nen wir durch sie oder in ih­nen et­was se­hen, was wir oh­ne sie nicht se­hen kön­nen – näm­lich uns selbst. Da­mit sind sie Werk­zeu­ge der Selbst­er­kennt­nis, der Selbst­ent­hül­lung, sie ma­chen deut­lich, daß wir ei­ne Außen- und ei­ne In­nen­sei­te ha­ben, daß wir, wie je­des Ding, auch Ob­jekt sind, ein Bild für andere.

   Diese Reflexion über die Kunst und ihrer Potentiale wird wei­ter­ge­trie­ben in Decoration – Declaration: Das Qua­drat-­Ras­ter, ein wie­der­keh­ren­des Ele­ment in Bern­hard Strie­bels ma­le­rischer Aus­ein­an­der­set­zung und ei­ne Hom­ma­ge an die Kunst­ge­schich­te, wird in der großen Bil­der­rei­he von vier­ge­teil­ten Qua­dra­ten gleich zwei­mal auf­ge­nom­men, in der ges­tisch an­mu­ten­de, mat­te und spie­geln­de, glat­te Farb­fel­der ein­an­der ab­wech­seln. Die spie­geln­den Farb­flä­chen über­la­gern ei­nen (nun nicht mehr les­ba­ren) Text, ei­ne ge­heim­nis­vol­le Bot­schaft. Auch sie ist Hin­weis auf die sprach­li­che Ebe­ne, die die Kunst um­gibt, um­stellt, er­gänzt. Gibt es ein rei­nes Seh­en? Si­cher ist, wir se­hen Bi­lder nie für sich al­lein, wir hö­ren von Bil­dern, wir le­sen über Bil­der, un­ser Blick ist um­ge­ben und vor­be­rei­tet durch ei­nen Hof von Kom­men­ta­ren. Les­bar­keit hat im­mer auch mit trüge­ri­scher Klar­heit zu tun, die jeder­zeit wie­der ver­schlun­gen wer­den kann, sich ver­dun­keln kann. Der Ti­tel die­ser Ar­beit hin­ter­fragt auch das gän­gi­ge Ur­teil oder Vor­ur­teil über den Begriff der De­ko­ra­tion, der ja ge­ra­de­zu zum Schimpf- oder Un­wort ge­wor­den ist. Das De­co­rum ist hier das ei­gent­lich An­ge­mes­se­ne, und die Lei­stung be­steht da­rin, auf präg­nan­te Wei­se ‘zu se­hen zu ge­ben’, vi­su­elle Ein­sich­ten zu er­zeu­gen, den An­lass zu Re­fle­xion und Emo­tion zu bieten.

   In der Dezentrierung, in der Beweglichkeit, mit der Neudefinition der Ränder öffnet sich das Bild, be­treibt sei­ne Ex­pan­sion in den Um­raum – ar­ti­ku­liert sich in der Si­tu­ie­rung der Bild­ele­me­nte, die den ak­tu­el­len Aus­stel­lungs­raum in ein pul­sie­ren­des Feld ver­wan­deln. In sei­nen for­mal präg­nan­ten Ver­suchs­an­ord­nun­gen lässt sich Bern­hard Strie­bel nie vom Grenz­wäch­ter­tum der Dis­zi­pli­nen und Gat­tun­gen ab­schrecken. Imm­er geht es um Über­schrei­tun­gen tra­di­tio­nel­ler Bild­auf­fas­sun­gen und um das Frei­spren­gen von Mög­lich­kei­ten. Der Ein­satz von Schrift im Bild, von Wor­ten in der bil­den­den Kunst, macht im­mer wie­der die Trenn­wand zwi­schen den Me­dien, zwi­schen Kunst, Li­te­ra­tur und Theo­rie porös.

   Die Schrift- und Schnittzeichnungen, wie z.B. die Konzepth – Serie, ar­bei­ten mit (meta-) sprach­li­chen Ef­fek­ten, chan­gie­ren ih­rer kla­ren Er­schei­nung zum Trotz zwi­schen Sinn, Un­sinn und Ka­lauer. Iro­nisch und lu­zi­de wird hier mit der for­cier­ten, ver­dun­keln­den Re­de über Kunst um­ge­gan­gen; Derri­da oder Witt­gen­stein sind in Frag­men­ten und An­mu­tun­gen da, wie auch die Schlag­wort­men­ta­li­tät und die an­ge­streng­te po­li­ti­sche Kor­rekt­heit of­fi­ziel­len Schreibens.

   In tagheller Klarheit unternimmt es Bernhard Striebel in Bildern über Bilder nach­zu­den­ken, über ih­re Lo­gik, über die ih­nen im­mer in­ne­woh­nen­de Fremd­heit, ihr dich­tes Schwei­gen, ih­re an­schau­liche Fülle.

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