Bildräume
In komplexen, vielschichtigen Installationen, die Bernhard Striebel für je bestimmte räumliche Situationen schafft, verbinden, reflektieren und ergänzen sich verschiedene Befragungen von Bild und Raum: in der Malerei, in der architektonischen Konstruktion, im Wort, in Lichträumen und Spiegelungen. Wahrnehmung und ihre Paradoxa, Sichtbarkeit und Hermetik treten in ein unabschließbares Wechselspiel. Dabei gibt es immer wieder irritierende Kippmomente zwischen Bild und Raum, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Wand und Skulptur. Die oftmals in Serien angelegten Tafelbilder werden immer auf einen Raum bezogen und offenbaren dadurch ihre skulpturale Qualität; umgekehrt können plastische Konstruktionen wie die Mannheimer Kaskade in aller Leichtfüßigkeit, auch im Material des Papiers, die Architektur konterkarieren. Immer geht es Bernhard Striebel um die Erforschung des konkreten Ausstellungsraums, um Vorstellungen und Vorurteile über Kunst, um ein Spiel mit dem Sehen, mit Sichtbarkeit und Sichtbarwerdung.
Die Halle des Mies van der Rohe Hauses wird zur Bühne, zur begehbaren Skulptur, wenn eine gelbe Wandmalerei, die die Hälfte der Wand – als gelber Horizont – einnimmt, sich mit den in der oberen Hälfte der gegenüberliegenden Fenstern angebrachten gelben Plexiglasfiltern verklammert und so den Raum in ein irisierendes, vielfarbiges Gelb taucht. Die Inszenierung des Gelbs zieht sich in verschiedenen Konfigurationen durch Bernhard Striebels Werk und umspielt dabei immer die grundlegenden Architekturelemente, Wand, Decke, Fenster. Layout, der von ihm gestaltete Messestand auf dem Artforum Berlin, kehrt das Verhältnis von Grund und Figur um. Dort, wo die Presspanplatten der Messewand aufeinander stoßen, werden die verspachtelten Fugen gleichsam als Zip im ‘Bild’ stehen gelassen, zugleich ein ironischer Kommentar zur emphatischen Moderne.
In Bernhard Striebels jüngster Installation im Haus am Lützowplatz erzeugen drei Objekte, lapidar auf den Fußboden gestellt, einen neuen Bilderort. Vor gestisch angelegten Monochromien in grün, gelb, rot, sind transparente gelbe Plexigläser gestellt, die das Widerspiel von Tiefe und Fläche, von Spiegelung und Farbe in Gang bringen. Dieser Dreiergruppe antwortet eine sechsteilige gelbe Malerei, wobei hier die zugrundeliegende Struktur – ein verworfenes Gitter, ein Faltenwurf – durch Abschleifen des darübergelegten Gelbs zutage tritt: Die Komplementarität der beiden Anordnungen öffnet Kategorien des Sehens zwischen Vorder- und Hintergrund, zwischen Zeichnung, Ready Made und Malerei und ist zugleich eine Frage: Wie und wann tritt etwas zutage?
Bildproduktion, Wahrnehmung und Sichtbarkeit werden ebenso nonchalant in der Rauminstallation Albert, Albert von 1991 thematisiert, wo vier verglaste Rahmen, blinden Fenstern vergleichbar, Scheinwerfern gegenüberstehen: Lichtbild und Scheinbild. Auch Alibi, eine Inszenierung von vier beschrifteten Kristallspiegeln, die Raum absorbieren, Raum entwerfen, arbeitet mit Grundfragen des Bildes, wobei Satzfragmente die Reflexion zugleich öffnen und unterminieren.
Das Thema der Spiegelung, der wechselseitigen Reflexion und Illumination ist fast ein Leitmotiv in Bernhard Striebels Recherche des Bildgeschehens. So ergänzt er im Haus am Lützowplatz mit einer simpel gebauten, transparenten Struktur den Erker. Die Projektion der architektonischen Situation schafft ein neues Verhältnis von außen und innen im Galerieraum und ermöglicht zweierlei Raumerfahrungen und Blickrichtungen: eine Inszenierung, die den Fensterblick zum Bild macht und, umgekehrt, die drei Zeichnungen auf der gegenüberliegenden Wand rahmt und fasst. Silberblick hat Bernhard Striebel diese Anordnung genannt. Dieser Begriff changiert zwischen dem umgangssprachlichen leichten Schielen und der Bezeichnung für eine Darstellungstechnik des Portraitierens, bei der die Augen nicht ganz symmetrisch dargestellt werden, um einen lebendigen Blick zu erreichen. Im Hüttenwesen bezeichnet der Terminus ‘Blicksilber’ den Moment, in dem das noch flüssige Silber, von fast allen Beimengungen von Blei befreit, erstarrt. Diese winzige Zeitspanne wird wegen des „hervorbrechenden kurzen eigenartigen Schimmers“ so genannt. Das Erstarren, das Blicken, der Augenaufschlag des eben geborenen Silbers …und um Blicke, Schimmern, Verlebendigung, geht es auch hier.
Silbergrau, die Arbeit im anschließenden Raum, treibt das Thema der Spiegelung zweifach weiter, einmal durch die ganz unbekümmert angebrachte Spiegelfolie, die – in leichter Verzerrung, wie alle Kunst – für den sich bewegenden Betrachter immer neue Raumbilder entstehen lässt, und dann durch die große Wandarbeit, eine silbrig schimmernde, durch Licht und Schatten sich ständig verändernde Fläche. Natürlich denkt man an Verse aus Rilkes Sonette an Orpheus: „Spiegel: […] // Ihr, noch des leeren Saales Verschwender-, / wenn es dämmert, wie Wälder weit… / Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender / durch Eure Unbetretbarkeit. // Manchmal seid ihr voll Malerei. / Einige scheinen in euch gegangen-, / andere schicktet ihr scheu vorbei.“
Durch das Aneinanderstoßen der einzelnen Blattsilberquadrate entsteht ein untergründiges Raster, das durch die Unebenheiten der Wand gebrochen wird. Die Silberfläche nimmt eine fast landschaftliche Qualität an mit vielfachen Erhöhungen und Schlünden, Wirbeln und Kreiseln. Ein Leuchten ist im Raum, aber auch der Schatten, die ständig wechselnde Projektion, die Schwingung, die auch durch unsere gebrochene und brüchige Anwesenheit im Spiegelbild einen leichten Vertigo erzeugt.
Lange wurde die Kunst als Spiegel der Natur aufgefasst. Als Mimesis-Gebot zugleich Ballast und Aufgabe der Kunst. Platon befragt im Staat (596 a-e) listig die Spiegelmetaphorik und damit Status und Nutzen der Kunst, wenn er Sokrates sagen lässt: „Am schnellsten aber wirst du wohl, wenn du nur einen Spiegel nehmen und den überall umhertragen willst, bald die Sonne machen, bald die Erde, bald auch dich selbst […] und alles wovon soeben die Rede war.“
Man kann wohl die Geschichte der Kunst als Antwort auf Platons Verdikt über die künstlerische Nachahmung lesen, als ein Bemühen um einen anderen Status als den der bloßen Wiederspiegelung: Was ist die Kunst – Spiegel oder Lampe? Aber Spiegel haben merkwürdige Eigenschaften (die Platon seltsamerweise außer acht läßt): einmal können wir nie leere Spiegel, sozusagen den Spiegel an sich sehen, andererseits können wir durch sie oder in ihnen etwas sehen, was wir ohne sie nicht sehen können – nämlich uns selbst. Damit sind sie Werkzeuge der Selbsterkenntnis, der Selbstenthüllung, sie machen deutlich, daß wir eine Außen- und eine Innenseite haben, daß wir, wie jedes Ding, auch Objekt sind, ein Bild für andere.
Diese Reflexion über die Kunst und ihrer Potentiale wird weitergetrieben in Decoration – Declaration: Das Quadrat-Raster, ein wiederkehrendes Element in Bernhard Striebels malerischer Auseinandersetzung und eine Hommage an die Kunstgeschichte, wird in der großen Bilderreihe von viergeteilten Quadraten gleich zweimal aufgenommen, in der gestisch anmutende, matte und spiegelnde, glatte Farbfelder einander abwechseln. Die spiegelnden Farbflächen überlagern einen (nun nicht mehr lesbaren) Text, eine geheimnisvolle Botschaft. Auch sie ist Hinweis auf die sprachliche Ebene, die die Kunst umgibt, umstellt, ergänzt. Gibt es ein reines Sehen? Sicher ist, wir sehen Bilder nie für sich allein, wir hören von Bildern, wir lesen über Bilder, unser Blick ist umgeben und vorbereitet durch einen Hof von Kommentaren. Lesbarkeit hat immer auch mit trügerischer Klarheit zu tun, die jederzeit wieder verschlungen werden kann, sich verdunkeln kann. Der Titel dieser Arbeit hinterfragt auch das gängige Urteil oder Vorurteil über den Begriff der Dekoration, der ja geradezu zum Schimpf- oder Unwort geworden ist. Das Decorum ist hier das eigentlich Angemessene, und die Leistung besteht darin, auf prägnante Weise ‘zu sehen zu geben’, visuelle Einsichten zu erzeugen, den Anlass zu Reflexion und Emotion zu bieten.
In der Dezentrierung, in der Beweglichkeit, mit der Neudefinition der Ränder öffnet sich das Bild, betreibt seine Expansion in den Umraum – artikuliert sich in der Situierung der Bildelemente, die den aktuellen Ausstellungsraum in ein pulsierendes Feld verwandeln. In seinen formal prägnanten Versuchsanordnungen lässt sich Bernhard Striebel nie vom Grenzwächtertum der Disziplinen und Gattungen abschrecken. Immer geht es um Überschreitungen traditioneller Bildauffassungen und um das Freisprengen von Möglichkeiten. Der Einsatz von Schrift im Bild, von Worten in der bildenden Kunst, macht immer wieder die Trennwand zwischen den Medien, zwischen Kunst, Literatur und Theorie porös.
Die Schrift- und Schnittzeichnungen, wie z.B. die Konzepth – Serie, arbeiten mit (meta-) sprachlichen Effekten, changieren ihrer klaren Erscheinung zum Trotz zwischen Sinn, Unsinn und Kalauer. Ironisch und luzide wird hier mit der forcierten, verdunkelnden Rede über Kunst umgegangen; Derrida oder Wittgenstein sind in Fragmenten und Anmutungen da, wie auch die Schlagwortmentalität und die angestrengte politische Korrektheit offiziellen Schreibens.
In tagheller Klarheit unternimmt es Bernhard Striebel in Bildern über Bilder nachzudenken, über ihre Logik, über die ihnen immer innewohnende Fremdheit, ihr dichtes Schweigen, ihre anschauliche Fülle.