Bernhard C. Striebel
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Kaskade
   Wie eine Kaskade stürzen zehn Papierbahnen, die eine architektonische Form um­schrei­ben und gleich­zei­tig bil­den, näm­lich ei­ne Art licht­durch­flu­te­ten Kup­pel­bau, von der Glas­decke im Aus­stel­lungs­raum zu B­oden. Die zen­tra­le In­stal­la­tion un­se­rer Aus­stel­lung be­schreibt Ar­chi­tek­tur als ver­gäng­lich, als tem­po­rä­res Phä­no­men, ver­än­der­bar und als Er­leb­nis der Sin­ne und nicht pri­mär als fest ge­füg­te Form, als Be­hau­sung. Da­für kann sie in die­ser spe­ziel­len, leich­ten und be­weg­li­chen Form als Be­hau­sung für den Geist die­nen – der in Ber­lin le­ben­de Kün­stler Bern­hard Strie­bel führt die Kunst auf ihr in­tel­lek­tu­el­les Ge­dan­ken­kon­strukt zu­rück. Sei­ne Ar­bei­ten, ob Ma­le­rei, Zeich­nung oder In­stal­la­tion, be­zie­hen sich da­mit auf den Raum, las­sen ihn pri­mär als Ge­dan­ken­raum spür­bar wer­den. Da­bei wer­den Text­zei­len in die Ma­le­rei in­te­griert, rea­gie­ren die­se auf Ma­le­rei und um­ge­kehrt, rea­giert die Ma­le­rei auf die Tex­te, zu­min­dest in der Vor­stel­lung des Be­trach­ters. Das al­les mag ei­nem zu­nächst eher ab­wei­send ge­gen­über­tre­ten, bis man sich auf das in­tel­lek­tu­el­le Spiel ein­läßt und ent­deckt, was es zu ent­decken gibt. Die Text­zei­len kom­men ei­nem viel­leicht be­kannt vor, sind mög­li­cher­wei­se Zi­ta­te, oder aber ge­dank­li­che For­mu­lie­run­gen des Künst­lers, ein Ge­dan­ken­ka­rus­sell, das bei der Ar­beit sich auf­drängt, in­tel­lek­tuel­le und phi­lo­so­phische Ge­mein­plä­tze, die als sprach­lich-­zei­chen­haf­te Ele­men­te Teil der Ge­stal­tung werden.
   "Ändere dein Leben, dann verändert sich die Kunst." oder: "Verändert den Kunstbegriff und ihr än­dert die Ge­sell­schaft." steht da aus­ge­stanzt auf ei­nem von Qua­dra­ten do­mi­nier­ten Mann­hei­mer Fal­ten­wurf. Leer­for­meln – hin­ter dem Text scheint die Rauh­fa­ser­ta­pe­te durch. Josef Beuys ist an al­lem schuld – "Wenn ei­ner her­geht und Pin­sel und Far­be kauft, hat er schon den er­sten Feh­ler be­gan­gen" hat er ein­mal ge­sagt. Die An­ein­an­der­rei­hung sprach­li­cher Plat­ti­tü­den ei­ner selbst­re­fe­ren­tiel­len Phi­lo­so­phie be­schreibt den Zu­stand kon­zep­tu­el­ler Kunst am An­fang des neuen Jahr­tau­sends.
Art and Lan­guage hieß eine be­rühm­te Lon­do­ner Kün­stler­grup­pe, die schon in den 1960ern sprach­li­che Ele­men­te mit Bild­ta­feln und Mo­bi­liar di­dak­ti­sche Ein­hei­ten bil­de­te, um auf die Ver­net­zung von Kunst und All­tag hin­zu­wei­sen. Kon­zep­tuel­le Ar­bei­ten der letz­ten 30 Jahre be­schrei­ben meist Ag­gre­gat­zu­stän­de der Kunst – schaf­fen Ge­dan­ken­ge­bäu­de, die ei­ne sinn­li­che Rea­li­sie­rung oft ver­mis­sen läßt. Strie­bel dringt in die­sen Kon­text so­zu­sa­gen als Gueril­lero ein und er­fin­det für sich selbst ei­ne neue kon­zep­tu­el­le Kunst, die nicht oh­ne iro­ni­sche Sei­ten­hie­be aus­kommt. Ach, was wa­ren das noch für Zei­ten, da man ver­meint­lich durch Kunst die Ge­sell­schaft än­dern konn­te oder, ge­nau­so gut, die Kunst än­dern, in­dem man ein an­de­res Be­wußt­sein entwickelte.
   Striebels Konzept schreibt sich denn auch mit einem stummen "h", um sich ab­zu­he­ben von an­de­ren Kon­zep­ten, um zu zei­gen, daß da im­mer noch et­was mit­ge­dacht ist, was man even­tu­ell se­hen, aber nicht un­be­dingt hö­ren kann. Man kann die Tex­te als amü­san­te Re­fle­xio­nen über Kunst, Kunst­theo­rie und Kunst­be­trieb le­sen ("Form und In­halt ver­hal­ten sich wie Katz und Maus, denn nachts sind al­le Kat­zen grau, tags die Mäu­se"), die aber durch­aus, ab­seits der amü­san­ten Form, ernst ge­meint sind, oder man nimmt sie ganz ein­fach als Teil ei­nes Bil­des wie je­den be­lie­bi­gen Pin­sel­strich und al­le Pin­sel­stri­che zu­sam­men er­ge­ben das Bild. A pro­pos Pin­sel­strich: Strie­bels Ma­le­rei hat im­mer meh­re­re Schich­ten; zu­erst ein Ge­flecht, das ei­nen an ka­rier­te Kü­chen­hand­tü­cher er­in­nert, die­ses wird weiß zu­ge­malt, so daß es kaum noch er­kenn­bar ist und dann wer­den par­tiell eher in­for­mel­le Struk­tu­ren da­rüber­ge­legt, die im üb­ri­gen von ei­nem Leih­ma­ler nach An­ga­be Strie­bels an­ge­fer­tigt werden.
   Was soll das, wa­rum malt er das nicht selbst? Hier be­rüh­ren sich wie­der vie­ler­lei Din­ge, die ihm wich­tig sind. Frü­her gab es ja die Werk­stät­ten der Künst­ler – der Mei­ster mal­te das Wich­tig­ste, die Ge­hil­fen den Rest. Bei Strie­bel kehrt sich das nur vor­der­grün­dig um, denn das was op­tisch pro­mi­nent ist, ist ma­le­risch viel­leicht eher un­in­te­res­sant. Ge­rade die in­for­mel­len Ma­ler be­haup­te­ten ja, aus dem Un­be­wuß­ten schaf­fen zu wol­len, Struk­tu­ren in der Ma­le­rei er­zeu­gen zu wol­len, die un­per­sön­lich und da­mit ob­jek­tiv sein soll­ten. In­dem Strie­bel ei­nen Auf­trag zu sol­cher Ma­le­rei aus­spricht, führt er das auf der ei­nen Sei­te ad ab­sur­dum, denn die in Auf­trag ge­ge­be­ne Struk­tur will sehr be­wußt ge­schaf­fen sein, an­de­rer­seits be­stä­tigt er das In­for­mel, in­dem er es gar nicht mehr selbst malt.
   Ein intellektuelles Vexierspiel mit vielen Facetten tut sich in seiner Kunst auf, die bedacht sein wol­len, die man ent­decken kann, oder die man über Bord wirft und sich ein­fach an der Form er­freut. Strie­bel ist der Letz­te, der da­ge­gen et­was hät­te. Sei­ne Kunst setzt sich kri­tisch mit der Kunst der jüng­sten Ver­gan­gen­heit aus­ein­an­der und wagt ei­nen Aus­blick auf eine neue kon­zep­tuel­le Kunst, die ge­ra­de erst im Ent­ste­hen ist.